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„Die Professionalisierung der Pressearbeit ist dringend notwendig“

Medienkompetenzzentrum hat Arbeit aufgenommen


Seit April leitet Marika Tödt das in der Führungsakademie des Bildungsinstituts angesiedelte Medienkompetenzzentrum. Dessen Aufgabe ist, die Pressestellen der niedersächsischen Justiz bei einer zeitgemäßen und aktiven Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Mittelfristig sollen damit das Ansehen, die Akzeptanz und nicht zuletzt die Nachwuchsgewinnung der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugseinrichtungen positiv beeinflusst werden. Ein Gespräch über Professionalität, die Rolle der Medien und Übersetzer in der niedersächsischen Justiz.

Michael Franke: Das Medienkompetenzzentrum soll die Pressesprecherinnen und -sprecher der niedersächsischen Justiz bei einer professionellen Pressearbeit unterstützen. Warum ist das nötig?

Marika Tödt: Die Justiz ist wie alle staatlichen Institutionen in hohem Maße auf das Vertrauen und die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Die öffentliche Meinung wiederum wird zu einem erheblichen Teil durch die Medien geprägt. Es liegt daher im ureigenen Interesse der Justiz, professionell mit den Medien zu kommunizieren und ihre Arbeit verständlich, transparent und nachvollziehbar zu erklären. Informationen, Gerüchte und Spekulationen verbreiten sich in unserer Mediengesellschaft in Sekundenschnelle. Den daraus resultierenden Druck auf die klassischen Medien spüren auch die Pressesprecherinnen und -sprecher in der Justiz. Heute gibt sich kein Journalist mehr mit einer schriftlichen Auskunft zufrieden. Telefoninterviews und O-Töne vor laufender Kamera sind gang und gäbe. Damit die Sprecherinnen und -sprecher dabei nicht in die Defensive geraten, ist es seit Jahren einhellige Meinung, dass sie besser geschult und in höherem Maße freigestellt werden müssen.

Franke: Das ist doch aber kein niedersächsisches Phänomen.

Tödt: Nein. Die Forderung bezieht sich keineswegs nur auf Niedersachsen, sondern wird bundesweit erhoben. In Niedersachsen steht das Thema etwas seit vier, fünf Jahren auf der Agenda. Seither ist schon an einigen Stellschrauben gedreht worden. Mit dem Medienkompetenzzentrum wird das nun auf professionelle Beine gestellt; und zwar für allgemeine Justiz und Justizvollzug.

Franke: Wie schätzen Sie die Pressearbeit in Niedersachsen ein?

Tödt: Die Pressesprecherinnen und -sprecher in der niedersächsischen Justiz sind engagiert und machen einen hervorragenden Job. Doch sie stoßen zuweilen unweigerlich an ihre Grenzen. Denken Sie nur an den Wulff-Prozess. Da stand die Weltpresse vor der Tür. Der stehen dann Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gegenüber, die die Pressearbeit im Nebengeschäft machen, mit meist geringer Freistellung neben ihren eigentlichen Aufgaben - und häufig genug ohne entsprechende Schulungen. Obwohl die Öffentlichkeitsarbeit bei den meisten Behördenleitungen einen hohen Stellenwert genießt, sind die Rahmenbedingungen ausbaufähig. Es ist überfällig, dass die Sprecherinnen und -sprecher Unterstützung bekommen.


Medien als Partner begreifen

Franke: Gibt es Beispiele, wo die Pressearbeit der Justiz an ihre Grenzen gestoßen ist?

Tödt: Die Justiz ist regelmäßig in den Medien präsent. In den meisten Fällen ist die Berichterstattung sachgerecht, wenn sie sich auch meist auf die Strafjustiz beschränkt. Die Vielseitigkeit des Aufgabengebiets wird bei weitem nicht abgebildet. Zum Teil gerät die Justiz aber auch in Bedrängnis. Hier sind der NSU-Prozess in München oder die Fälle Wulff und Edathy in Niedersachsen zu nennen. Um auch in solchen Situationen die Informations- und Deutungshoheit zu behalten, müssen die Sprecherinnen und -sprecher die Arbeit der Gerichte, Staatsanwaltschaften und JVAen aktiv, verständlich und transparent erklären. Eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Medien kann hier sehr hilfreich sein. Ebenso die Haltung: Medien sind Partner, keine Gegner.


Kommunikation ist eine Bringschuld

Franke: Wie passt das mit der traditionellen Zurückhaltung der Justiz gegenüber den Medien zusammen?

Tödt: Bisher war die Aufgabe eines Pressesprechers meist darauf beschränkt, die Medien auf Anfrage zu informieren – also reaktiv. Das reicht heute nicht mehr aus. Eine aktive und offene Zusammenarbeit mit den Medien ist ohne Alternative. Mit ihrer traditionellen Zurückhaltung wird die Justiz in unserer globalen, niemals ruhenden Mediengesellschaft, im Zeitalter von Transparenz und einem knallharten Wettbewerb der Medien unweigerlich in die Defensive geraten. Kommunikation ist eine Bringschuld!

Franke: Wie meinen sie das?

Tödt: Juristische Entscheidungen und Verfahrensabläufe sind nicht selbsterklärend. Es ist die Aufgabe der Sprecherinnen und -sprecher, die Vorgänge, Hintergründe und Entscheidungsprozesse aktiv zu erklären und damit für die Bevölkerung begreifbar zu machen. Tun sie das nicht, entsteht Intransparenz. Journalisten suchen sich dann andere, die ihnen das Geschehen erklären und einordnen. Anwälte und PR-Profis, die sich auf Kommunikation rund um rechtliche Auseinandersetzungen spezialisiert haben, nutzen diese Chance nur allzu gerne. Sie bestimmen mit ihren Kommentaren dann die Richtung der Berichterstattung und damit die öffentliche Meinung. Es kann nicht im Interesse der Justiz sein, anderen das Feld zu überlassen.

Franke: Die Pressearbeit der Polizei scheint besser aufgestellt zu sein.

Tödt: Das ist richtig. Die Polizei ist der Justiz in puncto Presse- und Öffentlichkeitsarbeit um einiges voraus. In Ermittlungsverfahren sollte die Pressearbeit eigentlich maßgeblich von den Staatsanwaltschaften gelenkt und präsentiert werden. In der Praxis ist allerdings häufig zu beobachten, dass die personell sehr viel besser ausgestatteten Pressestellen der Polizei Pressekonferenzen initiieren und leiten. Die Staatsanwaltschaft scheint nur am Rand des Geschehens mitzuwirken. Das wird der Rolle der Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens nicht gerecht und kann ihr Ansehen beschädigen.


Pressesprecher sind Übersetzer

Franke: Was macht eine gute Pressearbeit aus?

Tödt: Eine gute Pressesprecherin, ein guter Pressesprecher ist vor allem Übersetzer. Sie oder er muss die oft komplexen juristischen Zusammenhänge, Verfahrensabläufe und die Welt hinter den Gefängnismauern so übersetzen, dass sie jedermann versteht. Schließlich werden Urteile „im Namen des Volkes“ gesprochen. Da muss es den Anspruch geben, der Öffentlichkeit Entscheidungen zugänglich und verständlich zu machen. So wird Transparenz geschaffen und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat gestärkt.

Franke: Was genau ist die Aufgabe des Medienkompetenzzentrums?

Tödt: Das Bild von den Gerichten, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugseinrichtungen wird in erheblichem Maße durch die Medien geprägt. Das mag man beklagen, ändern kann man es nicht. Durch eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit kann dieses Bild positiv beeinflusst werden. Das Medienkompetenzzentrum wird die Pressesprecherinnen und -sprecher und Behördenleitungen für diese Aufgabe mit dem notwendigen Handwerkszeug ausstatten, sie bei einer modernen Medienarbeit unterstützen und das Verständnis zwischen Justiz und Medien fördern.

Franke: Das ist bei rund 160 Einrichtungen der niedersächsischen Justiz eine große Aufgabe. Was gehen Sie als erstes an?

Tödt: Beim Justizvollzug steht das Thema Krisenkommunikation ganz oben auf der Liste. Dort entsteht auch ein Handbuch mit Anleitungen und nützlichen Informationen für die Arbeit der Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit. Bei der allgemeinen Justiz wird in enger Abstimmung geklärt werden, wo genau die Bedürfnisse liegen. Meine Wunschvorstellung ist, dass alle, die als Gesicht ihrer Einrichtung fungieren, eine Medienschulung mit Kameratraining durchlaufen – bevor (!) sie das erste Mal vor ein Mikrofon oder eine Kamera treten. Danach kennen die Pressesprecherinnen und -sprecher die gesetzlichen Grundlagen, die eigene Rolle, die Wächterfunktion der Medien und erzielen so Handlungssicherheit im Umgang mit Journalisten. Ziel ist ein offenes, konstruktives und professionelles Miteinander von Justiz und Medien.

Franke: Stichwort Krisenkommunikation. Es kursiert die Geschichte, dass Justizminister stets ihr Rücktrittsgesuch bei sich tragen …

Tödt: … weil es im Justizvollzug jederzeit zu einem außerordentlichen Vorkommnis kommen kann. Ob die Geschichte stimmt, weiß ich nicht. Eins ist aber klar: Wenn sich beispielsweise eine Entweichung zu einer Krise auswächst, liegt das in den seltensten Fällen an dem Ereignis selbst, sondern vielmehr an dem Umgang damit. Dabei spielt die Kommunikation eine entscheidende Rolle. Damit uns das in Niedersachsen nicht passiert, arbeitet das Medienkompetenzzentrum mit unseren Anstaltsleitungen daran, wie sie in solchen Fällen souverän kommunizieren und die Informations- und Deutungshoheit behalten. Durch eine professionelle Krisenkommunikation können wir Spekulationen vermeiden und zu einer sachgerechten Berichterstattung beitragen. Das ist der beste Schutz davor, dass das Vorkommnis zum Politikum wird.

Franke: Wie sind Sie in der Führungsakademie angekommen?

Tödt: Es macht mir sehr viel Spaß, mein Wissen weiterzugeben und anderen zu helfen, die komplexe Medienwelt besser zu verstehen. Ich freue mich riesig, in der Führungsakademie mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten zu dürfen, die äußerst professionell aufgestellt sind und bundesweit einen hervorragenden Ruf genießen.


Zur Person:

Die Volljuristin und Journalistin hat in den vergangenen Jahren als Pressesprecherin die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Justizministerin a.D. Antje Niewisch-Lennartz und die amtierende Justizministerin Barbara Havliza verantwortet. Zuvor war sie nach Stationen bei der Hamburger Morgenpost, der Badischen Zeitung und RTL viele Jahre als Journalistin für das NDR Fernsehen in Hamburg (u.a. Markt, Plusminus, Visite) tätig. Beim Bildungsinstitut baut die Hannoveranerin nun das Medienkompetenzzentrum auf. Ihre Aufgabe ist die Professionalisierung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der gesamten niedersächsischen Justiz. Das Medienkompetenzzentrum ist für den Justizvollzug mit 14 Justizvollzugseinrichtungen ebenso zuständig wie für die allgemeine Justiz mit rund 150 Gerichten und Staatsanwaltschaften.

Marika Tödt  

Marika Tödt

Artikel-Informationen

Ansprechpartner/in:
Frau Marika Tödt

Bildungsinstitut des niedersächsischen Justizvollzuges
Medienkompetenzzentrum der niedersächsischen Justiz
Fuhsestraße 30
29221 Celle
Tel: 0 51 41 / 59 39 - 469
Fax: 0 51 41 / 59 39 - 499

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